Die Tochter liegt im Bett, sie dreht sich von einer Seite auf die andere, trinkt nochmal etwas, sortiert Haare, Schnullerhasen, Kopfkissen und die unzähligen Puppen und Kuscheltiere, die ihr dort Gesellschaft leisten. Ich sitze währenddessen im Sessel neben dem Bett, habe das Buch auf dem Schoß, dass ich ihr eben noch vorgelesen habe und versuche selbst etwas zu entspannen. Die Tochter richtet sich auf und fragt: „Mama?“
Obwohl sie gefühlt mindestens hundert Mal am Tag „Mama“ sagt, ist genau in diesem Moment wieder einer dieser Momente, in denen ich realisiere, dass ich wirklich und wahrhaftig eine Mama bin. Dass ich die Mama von zwei Kindern bin, dass der Mann und ich nicht nur er und ich, sondern Eltern sind. In dem Moment stürzt die ganze Verantwortung, die all das mit sich bringt, auf mich ein. In solchen Momenten fühle ich mich kurz überfordert, doch dann hüpft mein Herz, denn ja, ich bin wirklich Mama.
Und keiner sagt einem wie es geht
In Deutschland braucht es für fast alles ein Zertifikat, einen Schein, ein Zeugnis oder ähnliches. Wir können uns keine Arbeit suchen, ohne einen Lebenslauf und Nachweise über unsere Qualifikationen vorzulegen. Wir dürfen nicht ohne Führerschein Auto fahren. Aber wir können einfach ein Kind bekommen.
Auch heute noch bekommen die meisten Eltern in Deutschland ihre Kinder im Krankenhaus und bleiben dort, gerade beim ersten Kind, einige Tage. In vielen Krankenhäusern gibt es sehr kompetentes Personal, Kinderkrankenschwestern, Hebammen, Stillberaterinnen und auch Ärzte/Ärztinnen, die sich sehr gut um die jungen Eltern kümmern. Doch es gibt auch Krankenhäuser, in denen das nicht der Fall ist. Eltern bekommen im besten Fall dort schlechte Tipps oder sie werden sogar alleine gelassen.
Nach der Zeit im Krankenhaus darf man mit Baby nach Hause. Und da steht man nun, weiß nicht wie das mit Baby geht und was man nun richtig oder falsch macht. Da ist ein kleines Menschlein bei uns eingezogen, mit dem wir nicht nach der Try-and-Error-Methode verfahren möchten. Doch wie sollen wir wissen, wie das geht, mit so einem kleinen Menschen. Vorher hört man selten, wie es sein kann und was helfen kann. Wir leben nicht mehr im Clan, oft sind Freunde und Verwandte weit weg oder selbst so in ihren Alltag eingebunden, dass sie uns nur begrenzt helfen können.
Und so stehen wir alleine da, haben eine riesige Verantwortung, denn wir wollen, dass es unserem Baby gut geht. Das kann überfordernd sein und das darf es auch sein, auch nach einigen Jahren.
Wir haben es doch geschafft
Ich denke nicht gerne an die Babyzeit der Kinder zurück, denn sie hat mir sehr viel abverlangt. Die Tochter schrie viereinhalb Monate gefühlt durch und kam dann langsam auf dieser Welt an. Der Sohn wachte im ersten Lebensjahr in den meisten Nächten alle zwanzig Minuten bis halbe Stunde auf und wollte stillen. Beide Kinder kamen nur mit sehr viel Zuwendung, Körperkontakt und Co-Regulation zur Ruhe.
Spreche ich mit dem Mann über die Zeit, sagt er immer: „Aber wir haben es doch geschafft!“ Er hat recht, wir haben es auch geschafft und wie ich finde, sogar verdammt gut. Trotzdem war es ein extremer Brocken, den wir da zu tragen hatten und eine Verantwortung, die mich manchmal an den Rand der Verzweiflung oder auch darüber hinaus gebracht hat.
Es ist ein großes Ding
Eltern werden und Eltern sein ist ein großes Ding. Es ist eine unglaubliche Verantwortung, die wir plötzlich bekommen. Es ist in Ordnung damit überfordert zu sein. Es ist in Ordnung zu verzweifeln. Es ist in Ordnung sie auch an manchen Tagen einfach nicht haben zu wollen.
Es ist aber auch etwas wunderschönes, denn wir Eltern haben die einmalige Chance bekommen, ein kleines Wesen in diese Welt und in sein Leben zu begleiten. Wir gehen einen Teil des Weges gemeinsam und sehr verbunden. Und das ist ein wirklich großes Ding.