Geht das überhaupt, artgerechtes (was genau artgerecht ist erklärt Melanie hier) Leben mit einem Schreibaby? Muss man dazu nicht ein ruhiges Baby haben und braucht ganz viel Geduld? Und wenn nicht, bringt mir das denn überhaupt etwas? Solche oder ähnliche Fragen stellen sich sicherlich einige Mütter und Väter mit Schreibaby. Und gleichzeitig greift man nach jedem Strohhalm, der vielleicht in dem ganzen Horror der Schreierei helfen kann.
Ich sage, ein artgerechtes Leben mit einem Schreibaby ist möglich und kann Erleichterung bringen. Doch es ist nicht das Allheilmittel, welches das Schreien stoppt. Gerade wenn kein Grund für das Schreien bekannt ist, kann es aber helfen die Situation besser zu meistern oder sogar ein wenig Abhilfe schaffen.
Ganz wichtig für mich in einem artgerechten Leben mit Kind ist der Clan oder das Dorf. Und genau das brauchen Schreibaby-Eltern vielleicht noch ein wenig dringender als all die anderen Eltern mit kleinen Kindern. Ich glaube, jede Mutter und jeder Vater mit einem Baby, dass gefühlt rund um die Uhr schreit, wünscht sich manchmal nichts mehr, als nur mal ein paar Minuten für sich. Einfach das Kind abgeben und weggehen, um zu weinen, um allein zu sein, um sich etwas Gutes zu tun oder um einfach nur mal in Ruhe (oder überhaupt) zu duschen und zur Toilette zu gehen. Doch gerade als Mutter oder Vater mit einem schreienden Baby ist es so schwer Anschluss zu finden, gerade viele Mütter vereinsamen in der Zeit, weil sie sich mit dem Baby nicht raustrauen, immer aus Angst es könnte alles zusammen brüllen.
Manchmal ist es ganz leicht so ein Dorf aufzubauen, ich zum Beispiel hatte großes Glück. Melanie hat mich unterstützt und mir zugehört und vor allem hat sie mir keine „wertvollen“ Tipps gegeben. Meine Schwiegereltern kamen einmal die Woche mit Essen und haben die schreiende Tochter wiegend durchs Wohnzimmer getragen, während ich mich einfach mal für eine Stunde zurückgezogen habe. Alle meine Eltern hatten jederzeit ein offenes Ohr für mich und mein Papa war zu jeder Minute startklar um loszufahren und mir zu helfen, wenn es denn nötig gewesen wäre. Und ich habe liebe Nachbarn, die mir ihr Auto angeboten haben oder einfach mal ein Schwätzchen gehalten haben während ich nach einem Spaziergang den Kinderwagen wie eine Irre vor und zurück bewegt habe, damit der kleine Brüllaffe darin nicht erwacht.
Hat man nun aber nicht das Glück solche Freunde oder Familie in der Nähe zu haben ist es um so wichtiger sich Kontakte zu suchen. Facebook-Gruppen zu Schreibabys können helfen, aber auch hier muss man schauen welchen Hintergrund dort die anderen Eltern haben und ob es passt. Das ersetzt aber niemals ein persönliches Treffen. Deswegen möchte ich alle Mütter mit Schreibaby ermuntern rauszugehen und es auszuprobieren. Und vielleicht findet sich so ja eine andere Mutter, die helfen kann oder sogar auch ein Schreibaby hat. Eine tolle Möglichkeit hierfür sind offene Artgerecht-Treffen, welche von vielen unserer Kolleginnen in den meisten deutschen Großstädten angeboten werden und auch bald von uns im Rhein-Main-Gebiet und Hintertaunus.
Ein artgerechter Umgang mit einem Baby bedeutet aber auch, auf es einzugehen und nach seinen Bedürfnissen zu schauen. Es am Körper zu tragen und auf seine Signale zu achten. Gerade das Tragen ist mit einem Schreibaby eine Erleichterung, kommen die kleinen doch in vielen Fällen besser zur Ruhe, wenn sie Mama und Papa ganz nah sind. Bei uns hat es nicht immer geholfen, da der Morro-Reflex bei der Tochter sehr ausgeprägt war und sie in unserer Frl. Hübsch die Arme frei hatte. Da half leider tatsächlich ganz oft nur noch der Klammergriff. Aber in sehr vielen Fällen hat sie sich in der Trage viel besser beruhigt als ohne und hat dort auch mal länger als nur einen Augenblick geschlafen.
Auch das gemeinsame Schlafen, also das Familienbett oder eben ein Beistellbett, können das Leben mit Schreibaby leichter machen. Aber auch das Leben mit einem Baby, das nicht so viel schreit. Wie schön ist es, wenn man zum stillen nicht erst aufstehen muss und das Kind, dass sich vielleicht schon in Rage geschrien hat, aus seinem Zimmer zu holen. Zum Glück findet das Familienbett und gemeinsames schlafen immer mehr Anklang und wird von vielen Familien praktiziert.
Doch wie ist das mit dem Eingehen auf Bedürfnisse? Wie erkennt man diese überhaupt bei einem Baby, dass eigentlich nur schreit. Ich habe mich das lange Zeit gefragt und war etwas ratlos zu Beginn. Wie kann ich mit der Tochter denn nach Bedarf stillen, wenn ich gar nicht erkenne wann sie diesen Bedarf hat? Wie kann ich sie abhalten, wenn sie nicht die typischen Zeichen gibt oder Laute von sich gibt? Gar nicht, zumindest war das meine Erkenntnis. Und deswegen haben wir nach der Uhr gestillt und einfach immer beim Stillen abgehalten. Und irgendwann immer dann, wenn wir dachten, dass sie drückt. Ergebnis ist, das große Geschäft geht auch heute ins Klo, wenn wir es rechtzeitig merken, ein richtiges Signal haben wir nicht und werden wir wahrscheinlich auch nicht mehr bekommen. Aber auch das kann funktionieren.
Ein artgerechtes Leben mit Schreibaby ist möglich und kann helfen, das Leben etwas einfacher zu machen. Mir hat es geholfen mein Brülläffchen besser kennenzulernen und zu erkennen, was sie braucht und was ihr vielleicht auch nicht gefällt. Das Schreien ist davon nicht weggegangen, aber es ist ein wenig weniger geworden. Eine Garantie ist das aber auch nicht, aber es ist auf jeden Fall einen Versuch wert.