Natürliche Geburt – Die Leboyer-Methode und ihr Ursprung

Frédérick Leboyer wurde 1919 in Paris geboren und arbeitete dort sehr lange als Gynäkologe und Geburtshelfer. Durch seine Reisen nach Inden erhielt er Anregungen für eine neue Sichtweise auf Geburt und Mutterschaft. Neben dieser Arbeit war er außerdem Poet, was sich auch in seiner ersten Veröffentlichung Geburt ohne Gewalt widerspiegelt.

Leboyer schreibt in diesem wundervollen kleinen Büchlein über das Ankommen des Babys in unserer Welt, er schildert die Geburt aus Sicht des Kindes und eröffnet somit zum ersten Mal überhaupt einen Blick darauf, was das Kind erlebt und wie es sein Ankommen wahrnimmt.

Lange waren viele Menschen der Ansicht, dass Neugeborene keine oder kaum Gefühle haben, dass sie noch nichts sehen, kaum etwas hören und sowieso relativ simpel gestrickt sind. Und so musste man bei einer Geburt also nicht wirklich Rücksicht auf dieses kleine Wesen nehmen. Die Bedingungen für die Mutter änderten sich relativ schnell, die Wünsche der Gebärenden wurden berücksichtigt und ihre Ängste ernst genommen. Das Kind wurde jedoch lange wie ein Gegenstand behandelt, der eben als Endprodukt einer Geburt dasteht.

 

Wie erlebt ein Kind die Geburt

Leboyer versetzte sich in das Kind hinein und beschreibt sehr bildlich und ausführlich, was genau das Kind während und nach der Geburt fühlt, sieht, riecht und erfährt. Hierbei ist zu beachten, dass das Buch erstmals in den 70er Jahren erschien und er eben diesen Stand der Geburtshilfe betrachtet. Trotzdem ist es für uns alle eine Anregung und eine gute Vorbereitung auf die Geburt zu hinterfragen, wie die Geburt für mein Kind sein wird. Was wird es hören? Was wird es sehen? In was für eine Umgebung wird es hineingeboren? Ist es möglich direkten Hautkontakt und somit eine erste Bindung nach der Geburt herzustellen?

Doch wie erlebt nun das Kind die Geburt? Laut Leboyer erlebt es einen Schock und dass ist bei den Erfahrungen, die Kinder in dieser Zeit sammeln mussten sicher nicht verwunderlich. Damals war es üblich den Kreissaal hell erleuchtet zu haben und vor allem den Ort des Geschehens gut auszuleuchten. Die Kinder wurden oft nach der Geburt an den Füßen hochgehalten, damit übriges Fruchtwasser aus der Lunge abfließen konnte. Auch ein Klaps auf den Po war nicht unüblich. Man wusste wenig über die Bindung von Mutter und Kind und so wurden die Kinder oft weggebracht, gebadet, gewickelt, fest verschnürt und in einem separaten Säuglingszimmer versorgt, damit die Mutter sich von den Strapazen der Geburt erholen konnte.

Das Buch enthält sehr viele Fotos aus dieser Zeit, oft Nahaufnahmen von gerade geborenen Kindern. Das Gelesene sensibilisiert, dennoch sollte auch für einen Laien die Angst der Kinder erkennbar sein. Sie verstehen nicht, was mit ihnen passiert. Sie haben sich entschlossen ihre sichere und warme Umgebung, die Welt, die sie kennen, zu verlassen und kommen in einer hellen und kalten Welt an. Da will doch jeder wieder weg.

 

Die sanfte Geburt nach Leboyer

Es geht im Buch immer wieder um die Frage, wer sich wie auf die Geburt vorbereiten kann. Dazu heißt es auf Seite 53

Nicht das Kind müssen wir vorbereiten.

Uns selbst.

Die eigenen Augen müssen wir öffnen

Die eigene Blindheit muß aufhören.

Mit ein wenig Verständnis ist alles so einfach.

Und genau dieses Verständnis für das Kind und seinen Weg in diese Welt hat sich in den letzten Jahrzehnten glücklicherweise schon verfestigt, wenn es doch immer noch ein langer Weg ist zurück zu einer natürlichen und sanften Geburt für Mutter und Kind.

Heute sind Kreissäle nicht mehr die sterilen, bis oben hin gekachelten Räume, die sie einst waren. Geburtshäuser bieten sogar noch heimeligere Räume für eine Geburt und auch die Hausgeburt findet glücklicherweise wieder mehr Zuspruch. Kinder werden nicht mehr oder nur noch selten in einen hektischen, lauten und kalten Klinikalltag hineingeboren, sondern kommen viel häufiger in ruhiger und recht dunkler Atmosphäre zur Welt.

Heute wissen auch viele Hebammen, Krankenpflege und Ärzte wieder, wie wichtig der Hautkontakt zwischen Mutter und Kind für eine Bindung ist. Wie wichtig es ist dem Kind die Zeit zu geben anzukommen, seine Mutter zu fühlen, zu sehen, zu hören und zu riechen. Und vielleicht auch schon die ersten Schlucke an der warmen Brust zu nehmen.

Doch eine Sache wird immer noch missachtet und ist etwas, wofür viele Frauen heute noch kämpfen müssen. Das Durchtrennen der Nabelschnur. Hierzu schreibt Leboyer auf Seite 64:

Die Nabelschnur sofort nach der Geburt zu durchtrennen, ist ein Akt von großer Grausamkeit. Wir machen uns keine Vorstellung davon, wie verheerend sich das auf das Kind auswirkt.

Die Nabelschnur unversehrt zu lassen, bis sie nicht mehr pulsiert, verändert die ganze Geburt.

Wir müssen uns deutlich machen, dass ein sofortiges Durchtrennen der Nabelschnur bedeutet, dem Kind die Sauerstoffzufuhr sofort zu entziehen und es zu zwingen, diese selbstständig sicherzustellen. Kein Wunder, dass hier Kinder immer wieder Schwierigkeiten bekommen, hat doch die Mutter lange 40 Wochen genau dies für sie übernommen.

Erst wenn die Nabelschnur auspulsiert ist, das Kind genügend Kontakt zur Mutter hatte und alle wieder entspannt sind, darf nach Leboyer das Kind von der Mutter entfernt werden und soll ein erstes Mal gebadet werden. So bekommt es noch einmal das schwerelose Gefühl, dass es aus dem Mutterleib kennt. Es gibt dem Neugeborenen noch ein wenig Aufschub und Zeit in dieser Welt, die so eine starke Anziehungskraft hat und es so hilflos macht, anzukommen.

 

Die Leboyer-Methode in der Praxis

Wie bereits geschrieben ist es heute üblich, Kinder nicht mehr gewaltvoll auf die Welt zu bringen und davon auszugehen, dass sie gefühllose Wesen sind. Immer mehr Krankenhäuser nehmen sich ein Beispiel an Geburtshäusern, richten die Kreissäle liebevoll ein und geben den werdenden Eltern die Möglichkeit sich dort eine Atmosphäre zu schaffen, in der sie in Ruhe und Geborgenheit ihr Kind zur Welt bringen können.

Was wir aber nicht aus den Augen verlieren dürfen, und hier muss vor allem von Geburten in Krankenhäusern gesprochen werden, ist die Hektik und der Personalmangel, die dort vorherschen. Die Idee ist oft gut, in der Umsetzung hapert es dann doch. Alles muss schnell gehen, in den anderen Kreissälen warten weitere Gebärende auf Hilfe. Oft ist keine Zeit die Nabelschnur auspulsieren zu lassen oder der Mutter in Ruhe Hilfestellung beim ersten Kontakt mit dem Neugeborenen zu helfen.

Was braucht es also? Definitiv mehr Geburtskliniken und mehr Geburtshelfer. Hebammen auf jeden Fall, aber auch Doulas oder gar Stillbereaterinnen, die sich nach der Geburt um die Mutter und das Kind kümmern und genau das für sie sind, was früher die Verwandschaft war, eine liebevolle Hand, die das Ankommen des Kindes unterstützt und mit ruhiger Stimme eine Hilfe in der oft völlig fremden Situation ist.

 

Vorbereitung auf die Geburt mit Leboyer

Die Idee von Leboyer hilft meiner Meinung nach, sich auf die Geburt vorzubereiten. Das Buch ist schnell gelesen und öffnet sicher dem ein oder anderen die Augen. Und es gibt Denkanstöße, die uns helfen uns in das Kind hineinzuversetzen. Es ist sicher ein Unterschied, ob ich mir diese Gedanken als Erstgebärende mache, weiß ich doch in der Regel noch nicht mal was genau auf mich zukommt, oder ob ich bereits geboren habe. Trotzdem ist es nie verkehrt und für alle Beteiligten eine große Hilfe schon während der Geburt zu schauen, was genau das Baby braucht. Wie es sich fühlt und was es gerade druchsteht. Denn so können mit Sicherheit viele Geburten für alle Beteiligten sehr viel angenehmer werden.

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