Dr. William Sears stellte mit der Geburt seiner Tochter Hayden fest, dass es Kinder gibt, die sehr fordernd und für die Eltern recht anstrengend sind. Er formulierte 12 Kriteren, anhand derer man erkennen kann, ob das Kind High Need ist. Wie schon bei dem Begriff Schreibaby finde ich es auch hier sehr wichtig, dass man Kindern nicht einen Stempel aufdrückt und sagt, es ist nun eben ein High Need Kind und deswegen kann es nicht anders. Ja, sie können nicht anders und genau deswegen brauchen sie uns Eltern, die genau das erkennen und so auf die etwas anderen Bedürfnisse dieser kleinen Menschen eingehen können.
Die 12 Kriterien sind im Artikel 12 Features of a High Need Baby im Original nachzulesen und werden hier nur in verkürzter Form und in deutscher Sprache widergegeben.
Intensiv
Der Schrei eines High Need Babys ist intensiver und fordernder, als der eines normalen Babys. Sie fordern die Aufmerksamkeit und Fürsorge ihrer Eltern mit einer Intensität und Lautstärke ein, die als überdurchschnittlich wahrgenommen wird. Sears beschreibt diese Kinder auch als getrieben („driven“), sie kommen nicht zur Ruhe und möchten ihre Bedürfnisse auf der Stelle gestillt bekommen. Aus einem intensiven Baby wird in der Regel ein intensives Kleinkind, dass sich mit dem Kopf voran in jede Gefahr stürzt.
Hyperaktiv
Dieses und das vorhergehende Kriterium sind eng miteinander verbunden. Körper und Geist eines High Need Babys kommen oft nicht zur Ruhe, jederzeit bereit wieder in Aktion zu treten. Vielen dieser Babys kann es helfen eng am Körper in einer Tragehilfe oder einem Tuch getragen zu werden, um zur Ruhe zu kommen. Einigen jedoch ist dieser Körperkontakt zu viel, sie drücken sich durch und versuchen „zu entkommen“, auch das stillen kann so zu einem gymnastischen Akt ausarten.
Wichtig ist es, dass das Wort „hyperaktiv“ nur eine Beschreibung des Kindes ist und keinesfalls ein Label, dass es aufgedrückt bekommt. Leider ist dieses Wort im Zusammenhang mit Kindern sehr negativ behaftet.
Anstrengend/Fordernd
High Need Babys verlangen ihren müden Eltern alles ab. Manche Eltern würden wahrscheinlich sagen, dass die Kinder ihnen alle Energie absaugen und dann noch mehr fordern. Sie nehmen, wie jedes Baby, keine Rücksicht darauf, ob die Eltern nun müde und erledigt sind, oder ob sie noch genug Energie haben. Sears schreibt, dass Mütter in der sogenannten „mother zone“ sind, vergleichbar der „Twighlight zone“, wenn sie kaum noch Energie haben. Trotzdem gelingt es gerade Müttern von irgendwo her noch einen letzten Rest Energie zu sammeln.
Es kann vielen Eltern helfen, wenn sie sich die Zeit des forderns und des vermeintlichen absaugens der Energie eher als eine Zeit des Gebens vorstellen.
Ständiges Essen
Essen steht für Babys in den ersten Lebensmonaten für so viel mehr als bloß Nahrungsaufnahme, denn gerade stillen oder die Nähe zur Mutter beim Fläschchen geben wirken auf die Babys beruhigend. Studien haben herausgefunden, dass in Kulturen, in welchen Babys kaum schreien, die kleinen bis zu 20 Mal am Tag (ich bin mir sicher, es ist mehr) gefüttert werden. Diese Zahl erscheint für viele Eltern in der westlichen Welt erst einmal erstaunlich hoch zu sein. Jedoch werden Babys in solchen Kulturen so am Körper der Mutter getragen, dass sie ständigen Zugang zur Brust haben.
Für viele Mütter in der westlichen Welt ist es unvorstellbar, dem Kind ständigen Zugang zur Brust zu ermöglichen. Hier schwingen Ängste mit, die völlig absurd sind. Das Baby könnte verwöhnt werden und einem später auf der Nase herumtanzen. Des weiteren könne es dadurch fett werden und ein gestörtes Essverhalten bekommen. Babys kann man glücklicherweise nicht verwöhnen oder verziehen, denn sie haben lediglich Bedürfnisse, die gestillt werden wollen. Und auch fett wird ein Baby nicht, wenn es viel an der Brust trinkt, denn genau das ist ja das wundervolle an der mütterlichen Brust.
Eigentlich sollte sich einer Mutter die Frage, wie oft sie ihr Baby und vor allem ihr High Need Baby stillen soll gar nicht stellen. Da sich diese Frage viele Mütter aber trotzdem stellen, hier die einfache Antwort: Stille so häufig, wie dein Baby es verlangt und braucht.
Fordernd
High Need Babys fordern ein, was sie benötigen. Und das oft sehr lautstark. Leider drückt dieses fordernde Verhalten bei vielen Eltern die falschen Knöpfe, sie fühlen sich manipuliert und kontrolliert und ihnen fällt es schwer auf das Kind einzugehen.
Das Schreien von High Need Babys ist fordernder, Eltern haben oft das Gefühl ihnen nie gerecht werden zu können und nie schnell genug mit dem richtigen Angebot zur Stelle zu sein. Deswegen ist es für die Eltern umso wichtiger sich vor Augen zu halten, dass die Babys dies nicht aus bösem Willen machen, sondern einfach nur, weil sie ihre Bedürfnisse sehr intensiv spüren und als sehr dringend empfinden und dies den Eltern mitteilen möchten.
Oft gelingt es Eltern mit der Zeit zu erkennen, was ihr Baby und später Kleinkind braucht und wie sie ihm schnell gerecht werden können. Erfährt das Kind, dass seine Eltern es und seine Bedürfnisse ernst nehmen, kann es sein, dass die Kinder ruhiger und weniger fordernd werden.
In der Regel werden diese Kinder später nicht diejenigen sein, die sich unterordnen und klein beigeben. Sie sind die Kinder, die andere anführen und für ihre Bedürfnisse und ihren Willen einstehen. Dies mag für viele Eltern im ersten Moment negativ klingen, kann für das Kind mit der richtigen Unterstützung sehr wertvoll und bereichernd für das weitere Leben sein.
Wacht häufig auf
Man könnte meinen, dass ein High Need Baby mehr Schlaf benötigt als andere Babys. Vor allem die erschöpften Eltern brauchen den Schlaf oft dringend. Leider ist genau das Gegenteil der Fall, diese Kinder benötigen weniger Schlaf und wachen oft auf.
Unzufrieden
Eltern von High Need Babys haben das Gefühl, dass ihre Kinder immer unzufrieden sind. Das ist frustrierend und oft nehmen Eltern es auch persönlich, da sie augenscheinlich nicht in der Lage zu sein scheinen das Kind zufrieden zu stellen.
Gerade für Mütter ist es besonders wichtig, ein zufriedenes und glückliches Baby zu haben. Erscheint das Baby unzufrieden und unglücklich haben viele Mütter das Gefühl versagt zu haben. Doch das haben sie nicht, denn sie geben stets das Beste für ihr Kind. Die Unzufriedenheit ist bei High Need Babys oft einfach ein Teil ihrer Persönlichkeit.
Unvorhersehbar
Haben Eltern das Gefühl, sie haben die ultimative Beruhigungstechnik gefunden, macht ihnen ihr High Need Baby am Folgetag oft einen Strich durch die Rechnung und ist wieder unzufrieden und nicht zu beruhigen. Dinge, die heute gut funktioniert haben, sorgen an einem anderen Tag für Unzufriedenheit und Schreien. Das ist für Eltern oft frustrierend.
Oft überfordert gerade diese Unvorhersebarkeit die Eltern eines High Need Babys, denn sie können wenig bis gar nichts planen und leben von einem zum nächsten Tag. Hat der Einkauf im Supermarkt an einem Tag wunderbar geklappt, ist er am nächsten vielleicht schon ein Spießrutenlauf durch die Hölle.
Doch eines verspricht ein Leben mit einem High Need Baby garantiert, wie Sears auch über seine Tochter schreibt, es wird nie langweilig.
Super sensitiv
High Need Babys sind häufig sehr sensibel. Sie bestehen auf ihre gewohnte Umgebung und haben oft einen sehr leichten Schlaf. Außerdem reagieren sie schon sehr früh auf die Gefühle anderer Menschen recht deutlich.
Doch gerade diese Eigenschaft kann für High Need Babys später sehr wertvoll sein. Sie werden empathische Kinder und sind häufig sehr neugierig. Das unterstützt ihr Lernen und auch ihre Beziehungen zu anderen Menschen. Sie können häufig viel besser abschätzen wie ihr Verhalten sich auf andere Menschen auswirkt.
Das gute an sehr sensitiven Babys ist, dass sie sehr laut und deutlich kund tun, wenn ihnen in ihrer Umgebung etwas nicht passt und sie die Hilfe der Eltern benötigen.
Lassen sich nicht ablegen
High Need Babys sind sozusagen süchtig nach Körperkontakt (eigentlich sind das alle unsere Babys). Sie möchten den ganzen Tag auf dem Arm sein, Haut an Haut, und herumgetragen werden. Möchte der Träger sich hinsetzen, wird lautstark protestiert. Dieser ständige Körperkontakt ist gerade für westliche Eltern zu Beginn befremdlich, da immer noch die Vorstellung vorherscht, dass sich Babys ruhig in einer Wiege oder ähnlichem ablegen lassen und dort zufrieden schlummern. High Need Babys (wie auch alle anderen Babys) wollen den ganzen Tag getragen werden.
Leider führt die hohe Sensibilität vieler High Need Babys dazu, dass sie nicht „kuschelig“ sind, was die Eltern wiederum oft verleitet sie nicht tragen zu wollen. Wichtig ist es, dass die Eltern ruhig bleiben und dem Kind Sicherheit und Geborgenheit geben.
Keine Selbstregulation
Viele Eltern haben vor der Geburt des Kindes die unrealistische Vorstellung, dass sich das Baby mit Hilfe von irgendwelchen Hilfsmitteln wie einer Spieluhr, Musik, einem Teddy oder ähnlichem alleine beruhigen kann. Babys können aber gerade das nicht. High Need Babys benötigen auch beim Einschlafen die Hilfe der Eltern und müssen lernen ihren Eltern zu vertrauen. So lernen sie irgendwann alleine einzuschlafen, dafür braucht es kein Schlafprogramm und vor allem kein schreien lassen. Es braucht lediglich die Liebe und Begleitung der Eltern.
Trennt sich schwer
Gerade High Need Babys akzeptieren eine andere Betreuung als die der Mutter oder Eltern schwer bis gar nicht. Sie brauchen lange Zeit bis sie mit anderen (fremden) Personen warm werden und sich diesen öffnen. Oft mögen diese Kinder keine neuen Situationen und Personen und geben so den Eltern oft nicht den benötigten Freiraum.
Es hilft sich die Situation aus Sicht des Kindes vor Augen zu führen. Babys wissen nicht, dass gerade die Mutter eine eigenständige Person ist. Für sie gehört die Mutter untrennbar zu ihnen, sie steht jederzeit zur Verfügung, Baby und Mutter sind eine Einheit. „Trennungsangst“ kann es also gar nicht geben.
High Need Babys wissen oft besser als andere Babys, wen und was sie genau benötigen, um zufrieden zu sein. Wird dies nicht beachtet, machen sie lautstark darauf aufmerksam. Und das ist auch gut so, sind sie so doch in der Lage tiefe Beziehungen zu formen.
Ich finde es extrem schwierig von Stempeln die nicht aufgedrückt werden sollen zu sprechen und gleichzeitig von „high need Kindern und „normalen Babys“ zu sprechen. Das würde bedeuten das diese kinder nicht normal ,ergo unnormal sind und das ist totaler Unsinn , sie sind einfach ein bischen anders.
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Toller Beitrag – endlich mal wertfrei auf den Punkt gebracht. Und Respekt, mit einem HighNeed-Zwerg zu leben, ist sicherlich nicht immer einfach. Mit eurer Grundeinstellung und dem Wissen allerdings, wird aus dem Zwerg ein wundervoller Mensch werden. Ich habe zwar selbst keine Kids, aber ich weiß, worüber ich schreibe. Schließlich war ich selbst so ein Zwerg – nur das entgegengebrachte Verständnis war ein anderes… 😉 Vielleicht raffe ich mich mal dazu auf, einen Artikel darüber zu schreiben. Denn HighNeed-Baby werden irgendwann groß und auf dem Weg gilt es viele Hürden zu meistern.
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