Selbstbestimmt essen

„Wenn du nicht auf isst, gibt es Mogen kein gutes Wetter!“

„Sei froh, dass du etwas zu essen hast, in andern Teilen der Welt hungern Kinder!“

„Iss, damit du groß und stark wirst und nicht klein und schwach bleiben musst!“

„Wenn du den Spinat nicht isst, bekommst du keinen Nachtisch!“

Diese oder ähnliche Sätze begegnen uns immer wieder. Vielleicht haben wir sie schon selbst gesagt, vielleicht als Kinder gehört oder wir hören sie in unserem Umfeld. Es sind Sätze die aus meiner Sicht gerne verschwinden können und eigentlich auch nicht gesagt werden sollten.

Vom Zwang und Gefühlen

Warum Eltern solche oder ähnliche Sätze sagen kann ganz unterschiedliche Gründe haben. Sie fühlen sich machtlos, weil das Kind aktuell nur süße Dinge essen mag. Sie haben Angst, dass es zu dünn oder zu dick sein wird. Sie denken, dass es für die Entwicklung des Kindes wichtig ist, dass es ausgewogen isst. Sie haben Angst vor Verurteilung. Oder sie kennen es einfach nicht anders.

Doch was passiert, wenn wir unsere Kinder zum essen zwingen? Wir sprechen unseren Kindern damit die Kompetenz ab selbst einzuschätzen, was und wie viel ihr Körper gerade braucht. Wir bestimmen über ihr Sättigungsgefühl und übergehen dieses. Genauso lernen Kinder so nicht, wie sich Hunger anfühlt. Dieses Verhalten kann, muss aber nicht, zu Essstörungen führen. Es kann zu Unter- oder Übergewicht führen und es kann so viele weitere Folgen haben.

Doch was ist, wenn das Kind behauptet es schmeckt ihm nicht? Wenn es noch nicht mal probieren mag? Wenn wir Eltern ohnmächtig daneben stehen und uns wieder ärgern, dass das Kind das leckere Essen noch nicht mal probieren mag? Auch dann machen aus meiner Sicht Zwang oder ein Probierhappen keinen Sinn. Wir können aber darüber sprechen, dass wir uns ärgern, dass das Essen nicht gegessen wird. Wir können die Kinder in die Zubereitung mit einbeziehen. Und wir können Alternativen anbieten, die im Rahmen sind. Ein Brot statt dem gekochten Abendessen. Oder auch Müsli, wenn das für uns in Ordnung ist. Nudeln ohne Soße oder vielleicht auch ein Rest vom Vortag. Und wenn wir es möchten ist es völlig in Ordnung dem Kind ein Alternativessen zuzubereiten.

Selbstbestimmt essen heißt nicht: Jeder isst wann und was er mag

Sprechen wir von selbstbestimmten Essen, hören wir oft, dass das doch nicht sein kann und doch nicht schön ist. Wenn jeder isst wann und was er will, wo bleibt da das gemeinsame Essen? Doch genau das muss selbstbestimmt essen eben nicht bedeuten. Eine gemeinsame Mahlzeit ist in vielen Familein so viel mehr als bloße Nahrungsaufnahme. Es ist Zeit miteinander, Zeit zum erzählen und vor allem ist es eine Zeit, in der alle beeinander sind. Bei diesen gemeinsamen Mahlzeiten isst dann vielleicht nicht jeder eine volle Portion, manchmal kann es auch passieren, dass ein Familienmitglied nur dabei sitzt. Aber das ist aus meiner Sicht völlig in Ordnung.

Selbstbestimmtes essen heißt für mich aber auch, das Kind bekommt dann etwas zu essen, wenn es Hunger anmeldet. So habe ich es gemacht als meine Kinder ausschließlich gestillt haben und so führe ich es auch weiter bis sie in der Lage sein werden sich selbst etwas zu essen zuzubereiten. So gibt es bei uns oft Nachmittags einen Snackteller, der auf dem Wohnzimmertisch steht und von dem jeder so viel und das essen kann, was er mag. Dabei achte ich darauf abwechslungsreich und ausgewogen anzubieten, Obst, Waffeln, Brezeln und auch mal etwas Süßes.

Selbstbestimmung auch bei Süßigkeiten?

Wir Eltern sind für die Gesundheit unserer Kinder verantwortlich. Wir wägen ab, was ihnen gut tut und was nicht, ziehen ihnen im Winter eine dicke Jacke oder ein Paar Handschuhe an (oder nehmen diese zumindest mit), achten darauf, dass sie keine ungenießbaren Beeren essen oder zu nah an einen Abhang gehen. Und so ist es auch unsere Verantwortung im Bezug auf Süßigkeiten auf ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden zu achten. Wichtig ist es uns vor Augen zu halten, dass Zucker ein Suchtmittel ist.

Wir sind selbst Vorbider, wie in so vielen Bereichen im Zusammenleben mit unseren Kindern. Haben wir also einen Haufen Süßigkeiten im Haus und essen diese, ist es für die Kinder schwer verständlich, warum sie dies nicht sollen. Haben wir weniger da und bieten immer wieder leckere Alternativen an, erfahren Kinder, dass Süßigkeiten zum Nahrungsangebot dazu gehören, dieses aber sehr vielfältig sein kann. Kindern Süßigkeiten immer wieder zu verbieten halte ich aber auch für gefährlich, denn die Gefahr besteht, dass sie dann heimlich und in vielen Fällen wahrscheinlich unkontrolliert anfangen zu essen.

Bei uns gibt es für meinen Geschmack viel zu viele Süßigkeiten. Mein Mann kennt das von daheim nur so, ich kenne es nicht. Wir leben unseren Kindern also einen sehr unterschiedlichen Umgang vor. Um das Thema Süßigkeiten nicht zu einem Streitthema ausarten zu lassen, haben wir uns darauf verständigt, dass eben diese nicht in Reichweite der Kinder aufbewahrt werden. Die Tochter weiß aber, dass diese existieren und hat zum Beispiel auch ihr Osterkörbchen in Sichtweite stehen. Wenn sie nach süßem verlangt bekommt sie von uns ein kleines Döschen oder Schälchen. In dieses legen wir gemeinsam einige Dinge aus dem Osterkorb oder aus dem Vorrat, der Mann vielleicht mehr als ich. Wir sprechen jedes Mal mit ihr darüber, dass dies die Süßigkeiten für den Tag sind, dass sie die gerne haben kann und essen kann, dass diese aber nicht gegen Hunger helfen. Mittlerweile isst sie nicht mehr alles auf einmal auf, häufig stellt sie die Schale auf ihren Platz am Esstisch und isst sich an Obst oder ähnlichem satt.

Mit den Händen auf dem Boden essen

Wer dem Baby von Beginn des Beikoststartes an Fingerfood angeboten hat, kennt es kaum anders. Es wird gematscht, es wird geschmiert und viel Essen landet oft auf dem Kind anstatt in dem Kind. Das ist nicht für jeden gut auszuhalten und ja, manchmal ist es auch wirklich blöd, wenn trotz Ärmellätzchen alle Klamotten reif für die nächste Runde in der Wäsche sind.

Doch das essen mit den Händen ermöglicht den Kindern ihr Essen zu erfühlen und somit nicht nur den Geschmacks- und vielleicht noch den Geruchssinn intensiv einzusetzen. Sie können herausfinden welche Konsistenz verschiedene Lebensmittel haben und was passiert, wenn man auf sie klopft, sie in den Fingern zerdrückt oder wenn man sie auf den Boden wirft.

Ich finde diese Erfahrung für Kinder sehr wertvoll, kann aber verstehen, wenn Eltern sich über das verschwendete Essen aufregen und das nicht ertragen. Wir haben deswegen den Kindern oft nur kleinere Portionen angeboten, dafür aber immer wieder nachgegeben, wenn sie das gefordert haben. Auch haben die Kinder früh Besteck bekommen, dass sie dann so nutzen konnten, wie es ihnen gerade hilfreich erschien.

Ich bin mir sicher, dass sie trotz dem Essen mit den Händen lernen mit Besteck zu essen, denn das leben wir ihnen tagtäglich vor. Und sie werden ihr Essen auch nicht für immer zermatschen, die Tochter macht das wirklich nur noch sehr selten und oft auch nur dann, wenn sie Aufmerksamkeit braucht oder so müde ist, dass sie nicht mehr ganz genau weiß was sie da gerade tut.

Unsere Kinder sitzen aktuell beide in ihren Stühlen mit am Tisch. Das war nicht immer so, die Tochter hat eine Zeit lang lieber auf einer der Bänke, die am Tisch stehen, gesessen und kniend gegessen. Ich kenne auch Kinder, die immer wieder aufstehen und zu ihrer Mutter oder ihrem Vater zurück kommen, um in Etappen zu essen. Und es gibt Familien, in denen es in Ordnung ist, wenn die Kinder ab und an auf dem Boden essen oder an einem anderen selbstgewählten Platz. Kinder können so ausprobieren, ob und wie sich das anfühlt. In der Regel stellen sie aber schnell fest, dass es mit allen zusammen am Tisch doch am gemütlichsten ist.

Und wann darf das Kind nun vom Tisch aufstehen? Bei uns dann, wenn es fertig ist. Wichtig ist uns dabei, dass wir weiteressen können und nicht immer wieder in ein Spiel mit einbezogen werden. Mittlerweile passiert es immer öfter, dass die Tochter früher aufsteht als wir, dann aber an den Tisch zurück kehrt, weil es dort doch eben geselliger ist. Auch ohne etwas zu essen.

Jede Familie ist anders

Jede Familie wird beim Thema Essen sicherlich ihren eigenen Weg gehen. Und das ist auch gut so, denn wir sind alle ein bisschen anders. Wichtig ist mir nur, dass wir auch unseren Kinder zugestehen ihren Weg zu gehen und zu akzeptieren, dass sie nicht immer alles mögen und nicht immer zur selben Zeit Hunger verspüren. Geht uns ja auch so.

Ein Gedanke zu “Selbstbestimmt essen

  1. Danke für diesen Text! Mit meinem Sohn (31/2) ist das Thema des „Eigenen“ gerade sehr groß und ich bin sehr gefordert, ihm gegenüber klar und in mir stimmig zu bleiben. Da hilft es mir sehr, mir VOR einer Situation bewusst zu machen, was ich eigentlich wirklich will, was für mich okay ist und was eben nicht. Es tut gut, in eurem Text von der Bandbreite der Möglichkeiten zu lesen und dabei anhand meines spontanen Empfindens zu merken: Ja, so könnte das passen für mich und so eben nicht – das also ist MEIN Weg. Mit dieser Haltung eigener Klarheit kann ich meinem Sohn dann auch wieder viel Spielraum lassen.
    Herzlichen Gruß, Sarah

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